Adventskalender: 15. Türchen

Eine letzte Mail. Liebesroman von Maximilian Dorner. Erster Teil: Juliane (27) hat sich während einer Reise nach Paris in Leander verliebt. Nach zweieinhalb Tagen ist sie überstürzt abgereist. Nun schreibt sie ihm Mails, eine nach der anderen …

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15. Türchen: Julianes Mail an ihre Freundin Bianca vom 8. März 2000

Liebe Bianca,
da du nicht hier bist, möchte ich per Mail darauf anstoßen, dass ich heute meine Doktorarbeit zum Buchbinder gebracht habe. Es ist vollbracht. Der Aschermittwoch bietet sich dafür an. Nun steht nur noch das Rigorosum an, und dann beginnt ein neues Leben. – Das sagt zumindest meine Mutter. Dabei beginnt höchstens ein neues Leben im alten. Was mir entgegenkommt, da ich lieber aufhebe als wegwerfe.
Gestern war mein letzter Uni-Faschingsball. Ich habe mich aus Nostalgie genauso verkleidet wie bei meinem ersten. Mit dem schrill geblümten Kleid meiner Mutter aus den Siebzigern und ihrem lila Flokati-Mantel.
Eigentlich war es unter diesen Voraussetzungen kein Wunder, dass ich meinen Ex-Freund getroffen habe, mit seiner neuen Flamme (BWL im Grundstudium, Nebenfach Rhetorik – das sagt eigentlich alles!). Schließlich haben wir uns 1993 kurz nach dem Ball kennengelernt, als er mich in der Mensa auf das Kleid angesprochen hat. Gestern hat er nicht einmal nicht bemerkt, dass ich es wieder anhatte. Zunächst haben wir uns nett unterhalten. Bis auf einmal eine Sicherung durchbrannte und er die Gelegenheit für eine Generalabrechnung nutzte.
Er warf mir vor, „immer“ alle Positionen aufzugeben, sobald ich merken würde, dass er anderer Meinung wäre. Er findet das „unglaublich egoistisch“. Ich sei wie meine Mutter: beide wären wir zu etepetete fürs Streiten. Mein Vater würde an ihr genauso „abperlen“. Hauptsache, auf der Oberfläche sehe alles aufgeräumt aus. Ich würde mich nicht aus Schwäche unterordnen, sondern aus Hochmut. Weil wir uns zu vornehm für eine Auseinandersetzung wären. Beim Streiten sollen sich die anderen die Hände schmutzig machen. – Geht’s noch? Du hattest ja so recht, er ist ein Depp.
Es klang so, als wäre er mit meiner Mutter zusammen gewesen. Dazu passt, dass sie sich bei jedem Telefonat erkundigt, wie es ihm geht. Seine BWL-Flamme stand staunend daneben. Anscheinend wurde ihr gerade klar, auf was für einen Choleriker sie sich eingelassen hat.
Angeblich hat er mich verlassen, als er gemerkt hätte, dass ich alles tun würde, nur um ihn nicht zu verlassen. Diese Selbstverleugnung hätte den Ausschlag gegeben und seine Liebe kaputt gemacht. Der Ärmste! – Letztlich heißt das doch, ich hätte ihn verlassen müssen, nur um nicht verlassen zu werden. Das ist doch Schwachsinn. Aber es bringt nichts, mit ihm über Logik zu streiten. Einmal nicht Recht zu haben, kommt in seinem Denken gar nicht vor. Deswegen habe ich geschwiegen, was ihn wie immer noch wütender machte. Aber soll ich deswegen rumschreien?
Wahrscheinlich hat er in einem Punkt wirklich das Richtige getroffen: Ich bin die ewigen Streitereien mit ihm satt. Es hat mich zermürbt.
Nach dir hat er sich auch erkundigt. Keine Ahnung, was er damit wieder bezweckte. Egal. – Wann sehen wir uns wieder?
Deine Juliane