Adventskalender: 19. Türchen

Eine letzte Mail. Liebesroman von Maximilian Dorner. Erster Teil: Juliane hat sich während einer Reise nach Paris in Leander verliebt. Nach zweieinhalb Tagen ist sie überstürzt abgereist. Ein Jahr nach dem Kennenlernen beschreibt sie in zwei langen Mails, was damals vorgefallen ist …
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19. Türchen: Julianes Mail an den schweigenden Leander vom 23. April 2000, vierter Teil

Gar nicht einfach, nach so einem bedeutsamen Gespräch mit dem üblichen Magst-du-Paris-ja-ich-liebe-es weiterzumachen … Dabei hatte ich zu dem Zeitpunkt bis auf die Flamenco-Schule und mein Hotel nichts von der Stadt gesehen.

Also schwiegen wir, bis wir vor dem Les Deux Magots standen. Das kannte ich aus dem Reiseführer. Eine Gruppe betrunkener Amerikaner fotografierte sich kreischend gegenseitig. Wir sahen uns kurz an. Du hast gelächelt, schon war alles klar. Also bogen wir nach links ab auf den Boulevard. In einem der Bistros war ein Tisch frei. Ganz am Rand, wo es schon wieder in den Bürgersteig übergeht.

Bis dahin dachte ich, du wärst Franzose. Ich hatte mir schon ein paar Antworten zurecht gelegt. Du hast mich nach dem ersten dahingestöpselten Satz erlöst, indem du auf Deutsch fragtest, ob ich Rheinländerin sei. Wahrscheinlich erinnere ich mich nicht an den Inhalt unseres Gesprächs, weil ich zu beschäftigt war, auf deine Fragen halbwegs sinnvolle Antworten zu geben und gleichzeitig aufzupassen, meine Gedanken nicht allzu sichtbar werden zu lassen: Der Kerl ist so toll …. Und warum sieht er auch noch so gut aus? … Und warum interessiert er sich auch noch dafür, wie man Kastagnetten hält? … Warum kann er jeder noch so banalen Bemerkung etwas abgewinnen? … Und immer wieder: diese leuchtenden Augen …

Wahrscheinlich ist es besser, dass ich mich nicht genau an unser Gespräch erinnere, denn ich gebe viel Unsinn von mir, wenn ich aufgeregt bin. Halt, eine Sache fällt mir gerade ein: Du hast mir von dem Tempel in Japan erzählt, der alle zwanzig Jahre abgerissen und danach genauso wieder aufgebaut wird. Du hast gesagt, dass du zweimal im Leben dabei sein möchtest. Mit demselben Menschen. Hast du mich wenigstens in diesem Moment in Betracht gezogen? Wenigstens für ein paar Sekunden?

Zu meinem Hotel fuhr ich mit der Métro, allerdings nur, um mich umzuziehen. Wir trafen uns unweit deiner Wohnung im Marais zum Abendessen wieder. Du hattest auch etwas anderes an, kein Polo-Shirt mehr, sondern ein himmelblaues Hemd. Egal zu welcher Tageszeit sahst du gut aus, weil es für dich eine Sache der Ehre ist, anständig rumzulaufen. Natürlich siehst du auch unangezogen sehr gut aus, aber das meine ich nicht. Du weißt schon, worum es geht.

Egal wie, dass du mal ein guter Botschafter wirst, merkte man daran, dass du bereits einen Tisch reserviert hattest. Und an der Zuvorkommenheit, mit der die Kellner und der Wirt dich begrüßten. Ich denke, dein Gedicht hat mich deswegen so überfordert, weil das gar nicht zu dir passt. Gedichte schreiben doch sonst nur Angeber, oder Mädchen wie ich!

Bei dem Abendessen hätte ich viel darauf verwettet,

 

Tel klingelt