Eine letzte Mail. Liebesroman von Maximilian Dorner. Erster Teil: Juliane hat sich während einer Reise nach Paris in Leander verliebt. Nach zweieinhalb Tagen ist sie überstürzt abgereist. Ein Jahr nach dem Kennenlernen beschreibt sie in zwei langen Mails, was damals vorgefallen ist …
***************************************************************************
20. Türchen: Julianes zweiter Versuch in Worte zu fassen, wie sie ein Jahr zuvor Leander kenengelernt hat. Mail vom 25. April 2000
– nie eines von dir zu bekommen.
Frauen, die behaupten, sie würden niemals am ersten Abend mit einem Mann mitgehen, sind oft die Schlimmsten. Deswegen lasse ich das lieber. Vielleicht glaubst du mir trotzdem, dass ich das zum ersten Mal gemacht habe. Gestern vor einem Jahr. (Und seitdem nicht wieder, falls es dich interessiert.)
Bestimmt gibt es auch ein paar nachvollziehbare Gründe, warum ich bei dir übernachtet habe: Vielleicht wegen der Flasche Wein, vielleicht lag es an einer nicht zu Ende geführten Diskussion über Augenfarben oder an dem kaum verstehbaren Unterschied zwischen UNO und Unicef – bei einer von beiden hast du ein Praktikum gemacht, nur bei welcher? Irgendwann waren wir jedenfalls bei dir.
Immerhin waren wir so mit uns beschäftigt, dass keiner an Sex dachte. Ich zumindest nicht. Und wenn dann nur ein bisschen. Du kannst dich so für etwas begeistern, dass du alles andere vergisst. Selbst eine Frau, die zufällig ihre leicht durchsichtige Flamenco-Bluse angezogen hat …
Von deiner kleinen Wohnung ist mir am besten der Bücherstapel neben dem Bett in Erinnerung geblieben. Den habe ich mehrfach umgeworfen und trotz deiner Proteste wieder errichtet. Du hast ihn dann jedes Mal um ein paar Bücher erhöht. Französische Taschenbücher waren das, die alle wahnsinnig intellektuell aussahen. Daran erinnere ich mich. Ja, und daran, dass ich gar nicht genug vom Geruch in deinem Nacken bekommen habe. Und von deinen Augen.
Nun ein Geständnis. Während du am nächsten Morgen Croissants geholt hast, dachte ich: An dem Mann muss ein Haken sein. Deswegen habe ich überprüft: a, den Kühlschrank, b, die Schmutzwäsche und c, das Waschbecken. Ohne irgendwelche Beanstandungen. Natürlich habe ich auch deine CDs durchgesehen, was man halt so macht, um jemanden kennenzulernen. Du kamst zurück, als ich gerade eine CD von Leonard Cohen in der Hand hielt. Und es war nicht irgendeine, sondern meine. Die ich in allen schweren Tübinger Stunden gehört habe. Du hast erzählt, wie du eine ganze Nacht mit Cohen in einer New Yorker Hotelbar Whisky getrunken hast. Anderthalb Wiskys Auf die er dich Achtzehnjährigen eingeladen. Hat. Hast du wirklich erst Monate später erfahren, dass er es war?
Dann haben wir die CD zusammen gehört, auf dem Bett sitzend. Hand in Hand.
— Jetzt habe ich meine eine halbe Stunde vergeblich gesucht! Ist das ein Wink des Schicksals, endlich aufzuhören, dir nachzulaufen? Nein. Nein. Nein … Dance me to the end of love —