Eine letzte Mail. Liebesroman von Maximilian Dorner. Erster Teil: Juliane hat sich während einer Reise nach Paris in Leander verliebt. Nach zweieinhalb Tagen ist sie überstürzt abgereist. Ein Jahr nach dem Kennenlernen beschreibt sie in zwei langen Mails, was damals vorgefallen ist …
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21. Türchen: Julianes zweiter Versuch in Worte zu fassen, wie sie ein Jahr zuvor Leander kenengelernt hat. Mail vom 25. April 2000, zweiter Teil
Samstag also. Es war meine Idee, dass wir den Tag so verbringen sollten, als ob ich gar nicht da wäre. Also erst zur Reinigung und dann doch die sündteuren braunen Lederschuhe kaufen, um die du seit Wochen einen Bogen geschlagen hattest. Danach in einem Café die Libération lesen, hin und wieder den Kopf schütteln. (Du hast gelesen und simultan übersetzt.) Sich hin und wieder nach links beugen für einen Kuss. Danach die Schuhe nach Hause bringen, feststellen, dass sie unterschiedlich groß sind, zurück zu dem Laden. Zwei Verkäuferinnen und einen Geschäftsführer beobachten, wie sie vor lauter Schuldbewusstsein beinahe auf die Knie gehen. Mit den gleich großen Schuhen zu einem Asiaten und trotz eines riesigen Angebots an verschiedenen Gerichten auf großen Platten das essen, was einem in Plastikschüsseln hingestellt wird. Sich an den mikrowelleheißen Nudeln die Zunge verbrennen, wie angeblich jeden Samstag, dabei mit zwei Stäbchen essend und breit grinsend, wenn der gegenüber sitzenden Frau die halbe Portion auf das Tablett fällt. — Erinnerungslücke. Was kam nach dem Mittagessen? —
Am späten Nachmittag haben wir jedenfalls einen ausgedehnten Spaziergang gemacht, erst an der Seine entlang, schließlich nach rechts zum Palais Royal. Das waren deine Samstage. Bis auf den im letzten April. Es war schon bis dahin ein wundervoll entspannter Tag, ab da war es wie verzaubert. Ab dem Augenblick, als du eine auf dem Brunnenrand liegende Zeitung bis zum Veranstaltungsteil geblättert hast. Du nahmst meine Hand und fragtest: “Warst du schon in der Pariser Oper?”
Erst wollte ich dich anschwindeln, aber das brauchte ich bei dir nicht. Also sagte ich die Wahrheit: “Ich war noch nie in der Oper.”
Statt zu erklären, dass du mit so jemandem nichts anfangen könntest, sprangst du auf und zogst mich ebenfalls hoch.
“Dann besteht jetzt die einmalige Chance, dass wir gemeinsam etwas zum ersten Mal tun. Wir haben noch dreiundzwanzig Minuten.”
Hand in Hand rannten wir zur Oper. Erst durch enge Straßen und dann einen breiten Boulevard entlang. Buchstäblich in allerletzter Sekunde bekamen wir zwei Karten. Die Dame am Einlass wollte die Tür zu der Loge gerade schließen, als wir die riesige Treppe zum ersten Rang hochstolperten. Sie drückte einen Zeigefinger auf die Lippen und ließ uns hinein. Die ganze erste Hälfte hielt ich die beiden Tickets umklammert. Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich – und so außer Atem.
Von der Oper habe ich nicht viel mitbekommen, sosehr war ich damit zu beschäftigt, mich zu beruhigen und aus den Augenwinkeln immer wieder auf deinen sich hebenden Brustkorb zu schauen.
In der Pause hast du mir die Handlung vorgelesen. Wir standen auf dem Balkon, unter uns der Platz, voller Touristen und Musikern und Gewusle. Ich weiß noch, dass ich plötzlich traurig wurde. Als hätte ich in diesem Augenblick vorausgeahnt, wie alles enden würde ..
Die arme Butterfly wartet das ganze Leben auf ihren Amerikaner. Und als er endlich kommt, ist es zu spät. Er ist verheiratet und möchte nur das gemeinsame Kind abholen. Willst du, dass ich ihre Rolle – ohne Kind! – übernehme?