Eine letzte Mail. Liebesroman von Maximilian Dorner. Erster Teil: Juliane hat sich während einer Reise nach Paris in Leander verliebt. Nach zweieinhalb Tagen ist sie überstürzt abgereist. Ein Jahr nach dem Kennenlernen beschreibt sie in zwei langen Mails, was damals vorgefallen ist …
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22. Türchen: Julianes zweiter Versuch in Worte zu fassen, wie sie ein Jahr zuvor Leander kenengelernt hat. Mail vom 25. April 2000, dritter Teil
Völlig übermüdet sind wir eng umschlungen eingeschlafen. Der Bücherstapel lag am Morgen umgeschmissen neben dem Bett. Ich versuchte, ihn wieder aufzubauen, was gar nicht so einfach war, denn du hast mit beiden Armen meinen linken festgehalten. Dennoch gelang mir der Turmbau. Zufrieden wartete ich, bis du aufwachen würdest. Ich wollte wissen, was du zuerst machen würdest. Wenn ich es mit halbgeschlossenen Augen richtig mitbekommen habe, hast du dir mit der flachen Hand auf den Bauch geklopft, ungefähr vier-, fünfmal. Oder habe ich nun ein lange gehütetes Geheimnis gelüftet? Dann bist du aufgesprungen und hast an der Klimmzugstange in der Tür zum Bad herumgeturnt. Ich schließe das aus deinen Atemgeräuschen und der Tatsache, dass du auf einmal kein T-Shirt mehr anhattest. Dann kam das mit dem Tee. Deine Rückenmuskeln haben jeden Handgriff verraten. Nachdem das Wasser eigentlich schon längst hätte kalt sein müssen, kamst du mit den dampfenden Tassen auf dem kleinen Tablett zum Bett. Und dann … Früher war das einfach: da hat man nur drei Punkte machen brauchen, und schon fuhr die Fantasie Achterbahn.
Warum lernt man auf der Uni , den Faltenwurf einer Maria auf hundert Arten zu beschreiben und ist trotzdem völlig überfordert, wenn es um den eigenen Körper geht? Der Sex mit dir war wie – zum ersten Mal. Es hat sich vollkommen richtig angefühlt. Hoffentlich sage ich das bis zu meinem Lebensende nicht jedes Mal. Denn jedes Mal würde es etwas wegnehmen von dem, was am Morgen des 25. Aprils 1999 in Paris passiert ist. Hätte ich eine Wiederholung überlebt, oder wäre ich explodiert?
Ich weiß nicht, warum ich dir das alles schreibe.
Ich weiß es wirklich nicht.
Vielleicht, um mir zu beweisen, dass es wirklich so war.
Kann man das Geschehene durch E-Mails wieder heraufbeschwören? Für einen kurzen Moment gelingt es, dann sind es nur eine Menge Buchstaben. Seit ich E-Mails schreibe, war ich noch nie so unzufrieden mit dem Ergebnis. Obwohl ich die letzten Absätze zwanzig Mal umformuliert habe, bleibt es doch lau.
Oft finde ich E-Mails über mein Leben unterhaltsamer als mein Leben selbst. Sie sind das Gemälde und das Leben nur die Skizzen dazu. Aber dieses Mal wirkt alles, was ich darüber schreibe, wie die bemühte Bildbeschreibung einer Kunstgeschichtlerin. Du bist der einzige Mensch, der es sehen könnte.