Eine letzte Mail. Liebesroman von Maximilian Dorner. Erster Teil: Juliane (27) hat sich während einer Reise nach Paris in Leander verliebt. Nach zweieinhalb Tagen ist sie überstürzt abgereist. Nun schreibt sie ihm Mails, eine nach der anderen …
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8. Türchen: Mail von Juliane an ihre Freundin Bianca vom 18. Juli 1999
Liebe Bianca,
ich vermisse deine sensationelle Paella mit Meeresfrüchten und die Video-Abende und das Nacktbaden im Neckar. Apropos: Seit Paris glaube ich auch, dass Thomas schwul ist, er ist sich nicht so sicher wie du, aber irgendwann wird er es merken … Und natürlich vermissen wir alle hier den Flamenco. Ohne dir wird das irgendwie nichts mehr mit dem Training, leider. Wir haben uns zwar letzte Woche getroffen, sind dann aber in einer Kneipe gelandet. Ohne eine einzige Minute geübt zu haben.
Seitdem du weggegangen bist, kommt mir Tübingen noch kleiner vor. Und noch freudloser und ich mir völlig verloren. Ich vermisse meine beste Freundin! Komm doch zurück.
Mein Bruder, den du immer verteidigst – obwohl sein Chaos nicht zu rechtfertigen ist –, hat gestern seinen Job in Bochum begonnen. Schon komisch, wenn der kleine Bruder eher Geld verdient als man selbst. Nun habe ich also die Wohnung für mich allein und komme hoffentlich zum Arbeiten. Das wäre auch dringend nötig, denn mit der Diss komme ich nicht voran. Ehrlich gesagt, bin ich kurz davor, alles hinzuschmeißen. Das Thema überfordert und langweilt mich gleichermaßen. Ich kapiere schon lange nicht mehr, was mich an Heiligen auf Barockgemälden einmal interessiert hat. Ihr ununterbrochenes Leiden nervt. Können sie nicht einfach ihre Arbeit tun und zufrieden sein? Aber nein, sie müssen sich quälen und umbringen lassen.
Auch das Unileben finde ich immer skurriler. Ich verstehe mittlerweile vollkommen, dass du das Weite gesucht hast. Wie läuft denn die Kellnerei? Findest du den Wirt immer noch so attraktiv? In einem spanischen Lokal zu arbeiten, ist garantiert aufregender, als diesen vertrockneten Romanistik-Professoren sonstwohin kriechen zu müssen.
Und von meinem Hilfskraft-Gehalt kann ich gerade die Kosmetikartikel bezahlen. Auch das spricht dafür, die Promotion abzubrechen und eine richtige Stelle zu suchen. Ich hasse es, mit Ende zwanzig immer noch am Rockzipfel der Eltern zu hängen. Aber die finden die Vorstellung einer Frau Doktor Tochter weiterhin unterstützenswert.
Heute Morgen strahlte der Himmel so blau, dass mich plötzlich eine riesige Welle Sehnsucht überspült hat. Aber ich wusste nicht wohin. Schließlich habe ich die neuen Wanderschuhe angezogen und bin los.
Leider war diesmal in Bebenhausen alles abgesperrt, selbst die Kirche. Auf der Bank vor dem Portal lungerte eine Gruppe Jugendlicher herum. Man sah ihnen an, dass sie auch fortwollten. Alle wollen weg, und keiner weiß wohin. Ist das nicht merkwürdig? Ich bin dann einfach in den Wald gelaufen, wie der Abt: einfach los.
Dabei habe ich viel über Paris nachgedacht und an deine Mahnung, nichts aufzugeben, sondern dranzubleiben. Das sage ich mir immer mit deiner Stimme vor. Du hast ja so recht, es ist nicht einfach, aber es lohnt sich.
Obwohl ich es nicht wollte, habe ich nach einer halben Stunde auf einen Wegweiser geachtet, und dann auf den nächsten. Schon hatte ich ein Ziel: Stuttgart. Das ist zwar nicht Rom, aber immerhin. Und auf einmal hatte ich das Gefühl, dass mir nichts passieren kann. Was kann man tun, damit einen das nie mehr verlässt? – Es hat genau drei Stunden angehalten. Bis ich in der U-Bahn vom SI-Zentrum Richtung Hauptbahnhof beim Schwarzfahren erwischt wurde. Anscheinend sieht man mir so etwas an.
Schreib mir bitte bald, oder, noch besser, ruf an! Ich bin die nächsten Abende gut zu erreichen,
deine Juliane