Obwohl ich mir schon viermal geschworen habe, die Instagram-App für heute Nacht nicht mehr zu öffnen, wische ich mich durch Dutzende Fotos. Auf der Mehrzahl lachen Grüppchen von drei bis sechs Personen in die Kamera. An den Farben ihrer Accessoires – meist Schals oder Mützen – erkennt man, welcher Partei Kind sie sind. Alle wirken entspannt, wie früher Wanderer nach dem Bezwingen eines Gipfels. Aber die hier sind Wahlkämpfer nach Betriebsschluss eines Infostandes. Im Hintergrund sieht man noch irgendwo die Requisiten, einen Tisch, eine Fahne. Die vom Wind zerzausten Flyer sind schon eingepackt.
Manche mischen zur Beglaubigung ihres Fleißes noch ein paar Bilder darunter, wie eine oder einer von ihnen gerade einen Wähler nur Kraft seiner Wahlversprechen festhält, wie Angler einen besonders prächtigen Fisch, der bereits angebissen hat.
Andere listen in der Bildbeschreibung penibel auf, wie viele Gespräche sie an diesem Tag geführt haben. Und die besonders Eifrigen, wie viele und welche Veranstaltungen sie heute von früh bis spät und natürlich, ohne zwischendrin etwa zu essen, absolviert haben. Es sind Selbstbeschwichtigungen inmitten von Umfragen, Nachrichtenaufregern und den eigenen Unsicherheiten, der anstehenden Wahl. Doch für Zweifel ist kein Platz. Auch nicht für Ermattung oder sonstige Schwächen.
Ich sehe auf und bin kurz versucht, das Handy wegzustecken. Doch stattdessen jedoch öffne ich den Kalender, um etwas nachzusehen: Bei welchem Infostand könnte ich mich eigentlich morgen beteiligen?