Empfang des Oberbürgermeisters in München. Lauter Künstler, Politiker, Funktionäre. Ich fahre mit dem Lift Richtung Toilette im Untergeschoss. Die Türen schließen schon, da springt eine junge Frau hinein und grinst mich an. Irritiert überlege ich, ob wir uns kennen. Unten angekommen fragt sie mich, ob sie warten solle. Ich verneine. Wieder oben stürzt sie von hinten auf mich zu, umarmt mich und fängt an, mich zu küssen. Unwillig schüttle ich sie ab, woraufhin sie verschwindet.
So fühlt sich das also an, wenn man bedrängt wird. Ein Gefühl zwischen Belustigung und Ekel, ganz sonderbar. Dass ich kaum fähig zu einer Reaktion war, ärgert mich. Auch das hört man ja immer wieder. Ich erzähle die Begebenheit ein paarmal am Abend. Die Reaktion ist immer ähnlich: ein wenig irritiert, aber doch grundsätzlich wohlwollend belustigt. Als hätte ich die Frau dazu gebracht. Fehlt nur noch, dass sie mir auf die Schultern klopfen und sagen: Nicht schlecht, alter Gauner!
Und doch: Würde eine Frau im Rollstuhl von hinten von einem Mann umarmt und geküsst, würden wir wohl alle sofort nach der Polizei rufen (ich auch!). An dem Kräfteverhältnis kann es nicht liegen. Denn ein Mann im Rollstuhl kann sich in dieser Situation genausowenig wehren, ist dem Übergriff genauso hilflos ausgesetzt wie eine Frau. Habe ich kein Recht, als Opfer wahrgenommen zu werden? Oder bin ich gar keines? Letzteres wäre mir lieber.