Beim Aschermittwoch der Künstler im Münchner Dom habe ich vor dem Schlusssegen des Kardinals einen Text über Zerbrechlichkeit vorgetragen. Auf mehrfachen Wunsch dokumentiere ich diesen auch hier:
Vor sechs Jahren schleppte ich mich mit einem schwarzen Gehstock die Fifth Avenue in New York hoch. Zehn Blocks weit, ein guter Kilometer. Ab der Hälfte war es nur noch eine Quälerei. Trotzdem stolperte ich weiter, auch weil ich wusste, dass ich nicht mehr lange würde laufen können.
Vor dem Eingang zur Subway kam mir ein junger Mann entgegen, mit nachlässig federndem Schritt, das Handy ans Ohr gedrückt. – Am liebsten hätte ich mich ihm in den Weg gestellt und gefragt, ob er wüsste, wie gefährdet sein Gang sei – und wie kostbar genau deswegen. Er hätte mich wohl für einen Bettler gehalten. Dabei wollte ich ihm etwas mitgeben auf seinen Weg.
Wie unfassbar schön gehende Menschen sind, weiß ich erst, seitdem ich es nicht mehr kann. Mein Körper führt mir meine Zerbrechlichkeit jeden Tag vor: mit hilflos zuckenden Muskeln, ohne Empfindung in den Beinen – dieser Körper ist mein Aschekreuz. Manchmal gelingt es mir für Stunden, meine Zerbrechlichkeit zu vergessen. Aber dann stehe ich mit dem Rollstuhl ratlos vor ein paar Stufen. Ohne fremde Hilfe geht gar nichts. – Meist kommt genau in diesem Moment jemand vorbei und bietet seine Hilfe an, immer genau dann, wenn ich an meiner Zerbrechlichkeit verzweifle.
Aber auch die Helfer sind fragil und unsicher. Sie behandeln mich wie eine filigrane Porzellanfigur, aus lauter Angst, etwas kaputt zu machen. Ich tue dann immer ein bisschen robuster, als ich wirklich bin. Nur um es ihnen leichter zu machen. Zerbrechlichkeit fordert von jedem besondere Sorgfalt.
Das ist es, was ich allen nachrufen möchte: Denkt immer wieder einmal daran, dass die Schönheit aus der Zerbrechlichkeit hervorgeht und die Zerbrechlichkeit aus der Schönheit. Sorgt euch nicht um eure Zerbrechlichkeit, sondern seht, wie kostbar sie uns macht! Euch und mich, den Dom, und jeden Gang zur Subway.