Wär schon schön, wenn es wieder möglich wäre, in ein Café zu gehen, nichts zu beobachten, einfach eine Suppe zu essen, ein Wasser zu trinken und wieder zu gehen. So ganz ohne, dass es etwas Besonderes wäre. Und sich nicht irgendwie komisch zu fühlen, wenn der Kellner direkt am Tisch vorbei geht oder andere Gäste sich direkt an den Nebentisch setzen. Ja, schön wär’s. Das nächste Mal dann.
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Observationen (5) vor dem Zum Kloster in Haidhausen, acht Grad, leichter Nieselregen // 28.12.21
1 // Bilde mir ein, am Meer zu sitzen. Bei Wind und Wetter. Zumindest habe ich da zuletzt genauso gefroren, im Januar vor drei Jahrenan der Ostsee. Dabei ist es heute nur das Café um die Ecke in München.
2 // Der Vorsatz fürs neue Jahr ist auch schon gefasst: Mehr Leichtigkeit wagen, oder sie sich schaffen. Oder sie geschehen lassen im Idealfall. Und dann auch wieder ziehen lassen (das ist das Schwerste.) Auch wenn das Mut und Empfindungsreichtum voraussetzt.
3 b// Irgendwann sind die Hände so kalt, dass ich nicht einmal das Handy halten kann. Aber immerhin hat das mit der Leichtigkeit einen Espresso lang funktioniert. Observationen anderer Menschen haben wetterbedingt nicht stattgefunden.
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Observationen (4) vor dem Gianluca in Haidhausen // 11.12.21
Alessandro also. Man geht an seinem kleinen Lokal in Haidhausen vorbei, wie schon so oft seit vielen Jahren. Hört schon das verrauchte „Hallo Max“, melancholisch umflort, weniger Gruß denn Klage. Doch heute brennt kein Licht in dem Lokal, niemand steht rauchend und auf Gäste wartend davor. Stattdessen verkümmerte Blumen vor der Tür und erloschene Kerzen. Momente der Sprachlosigkeit, der düsteren Ahnungen.
Ach, könnte man doch mit Worten jemand wieder zum Leben erwecken! Stattdessen Stille und eisiger Wind. Und doch, trotz allem Leben, das alles umfasst. Auch ihn, auch dich, ach Alessandro.
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Observationen (3) wieder aus dem Café Reichshof in Haidhausen // 4.12.21
1 // Sobald man an einen Tisch Menschen aus verschiedenen Generationen entdeckt, fängt das Generationenpuzzle im Kopf um die. Verwandtschaftsverhältnisse an. Als wäre überhaupt keine andere Konstellation vorstellbar als Eltern vs. Kinder. Früher war ich immerhin öfter mal mit meinen Professoren im Café gesessen. (Und habe mich dabei ebenso geehrt wie fehl am Platz gefühlt.)
2 // Männer im Café reden entweder zu viel oder zu wenig. Besonders wenn sie älter werden. Oder die Gruppe größer ist als zwei Personen an einem Tisch übersteigt.
3 // Auch das fast schon zwangsläufig: dass die zweite Observation aus der ersten folgt.
4 // Wenn einem nichts mehr einfällt oder alle Observierten das Café bereits verlassen haben, ist es Zeit zu gehen.
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Observationen (2) aus dem Café Reichshof in Haidhausen // 28.11.21
Selbst das schönste Café verliert all seinen Charme ohne Menschen darin. Selbst wenn sie einen manchmal aufregen, vor allem die Ungeimpften.
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Observationen (1) aus der Goldenen Bar im Haus der Kunst // 20.11.21
1 // Warum unterstelle ich den adrett gekleideten Hipstern um mich herum, dass sie sich selbst für das gelungenste Kunstwerk im Haus der Kunst halten? Erst als einer von ihnen wie ein Zinnsoldat zur Toilette humpelt, ist mir gleich wohler.
2 // Ein merkwürdiger Widerspruch. Kaum beobachte ich, nehme die Welt um mich herum intensiver wahr, öffne mich, bin ich auf mich selbst zurückgeworfen. Ich bin mehr bei mir, in meiner Gedankenwelt und damit abgeschlossen von der Welt.
3 // Ich konzentriere mich auf die Hände der Fünfergruppe an meinem Tisch. Die vielen kleinen Bewegungen, gerade wenn diese Hände sich unbeobachtet fühlen. Wie sie sich fast ununterbrochen bewegen, kommentieren, unterstreichen, auf sich aufmerksam machen, das Gegenteil behaupten. Ihr Ding machen. Fünf Menschen und soviel Gesagtes jenseits des Gesagten.