Über Einsamkeit

Mein Lieblingslied von Schubert beginnt mit den Versen: “Ich bin ein Waller auf der Erde, und gehe still von Haus zu Haus.” – Das Adjektiv “still” ist es, das mir jedes Mal das Herz aufsperrt und umdreht. Nicht leise geht er, nicht auf Zehenspitzen, sondern still. Ohne ein Geräusch zu machen. Vollkommen unbemerkt.

Mit der Einsamkeit ist es eine vertrackte Sache. Man kann einsam sein, bemerkt es aber über lange Zeit nicht. Und fühlt sich so lange auch nicht einsam. (Ist man es überhaupt?) Aber wehe, sie wird einem bewusst, dann sieht man nichts als sie. Dann führt auf einmal alles darauf hin, und nickt ihr hämisch grinsend zu. Dann ist jede Absage, jeder graue Himmel, jeder vor sich hinstarrende Passant nur ein weiterer Beweis: Sieh hin, du bist einsam, stiller Wanderer, begreife es doch endlich: Du hast dir nur etwas vorgemacht, allein hervorragend klar zu kommen.

Darauf folgt unmittelbar die Ermahnung an sich, nicht in Selbstmitleid zu versinken. (Ungeduldig ausgesprochen.) Das ist sehr perfide, denn zur Einsamkeit kommt jetzt noch das Gefühl, sich nicht ausstehen zu können. Ich denke: Klar doch, wenn ich mich schon nicht leiden kann, wer soll es sonst? Geschieht dir alles völlig recht. – Am besten wäre es, ohne sich selbst einsam zu sein. Aber das ist unmöglich. Und dieses Gefühl der Ohnmacht lässt einen noch mehr zweifeln. (Einsamkeit ist unmittelbar mit dem Selbstwert verbunden. Wahrscheinlich kann gar nicht einsam sein an Tagen, an denen man sich mag.)

Es nützt alles nichts, ich muss meine Wanderschuhe anziehen und hinaus in die Welt. Laut pfeifend. Ich bin ein Waller auf der Erde.