Was mich umtreibt

Zum Aufwärmen haben Lena Kettner und ich über eine längst vergessene Wahlkampfveranstaltung gesprochen, die wir beide nicht wirklich geglückt fanden. Deswegen hier nichts davon. Darüber sind wir dann zu der Partei gekommen, für die ich kandidiere …

Sind die GRÜNEN für dich ein Vorreiter, was die Förderung von Kunst und Kultur in München angeht?

Sie sind in erster Linie eine Partei, die sich für Diversität und die Umsetzung der Inklusionsziele einsetzt. Themen, die mir sehr wichtig sind. Ich spüre eine große Neugierde und Aufbruchsstimmung in dieser Partei, die sich vor allem auf die Förderung der Sub- und Popkultur in dieser Stadt auswirkt.

Du selbst hast einen starken Hochkultur-Background.

Ja, durch mein Studium an der Theaterakademie August Everding und dadurch, dass ich immer im Bereich der Hochkultur gearbeitet habe, kenne ich mich in diesem Bereich tatsächlich am besten aus. Durch meine Erfahrung kann ich sicherlich ein Stück dazu beitragen, dass der Dialog mit den freien Künstlern noch weiter intensiviert wird.

Der Vorwurf eines Großteils dieser Kulturschaffenden geht vor allem dahin, dass sie den herrschenden Parteien jegliches Kunst- und Kulturverständnis absprechen.

Man kann beispielsweise gegen die CSU wettern, wie man will: Aber München ist ein renommierter Kulturstandort mit einer Vielzahl von spannenden, namhaften öffentlichen Kulturinstitutionen. Natürlich muss man darüber sprechen, wie Fördergelder künftig verteilt werden – und wie es gelingen kann, die freie Szene vielleicht stärker in die etablierten Häuser zu integrieren. Dazu muss man aber für Kulturinstitutionen wie das Residenztheater oder die Bayerische Staatsoper erst einmal die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.

Für mich ist der Maßstab immer die Qualität eines jeweiligen Künstlers, eines Kunstwerks oder einer Inszenierung. Diversität und Inklusion sind großartige Schlagwörter: Doch es fehlt oft an einer Idee, was diese hehren Ziele letztendlich für die künstlerischen Produktionsprozesse am Haus bedeuten.

Ich arbeite seit 5 Jahren im Kulturreferat der Stadt München an der Öffnung des Kunst- und Kulturbetriebs gegenüber dem Thema Inklusion und weiß, wie schwierig die Umsetzung dieses Ziels jenseits der wenigen Leuchtturmprojekte ist.

Hattest du in den vergangenen Jahren öfter das Gefühl, eine Art „Vorzeigebehinderten“ in der Öffentlichkeit spielen zu müssen?

Das weniger. Ich hatte eher das Gefühl, dass das Thema Inklusion oft als abgehakt betrachtet wurde. „Strukturell“ ist so ein Adjektiv, das ich in diesem Zusammenhang immer wieder höre. Es geht aber um einen grundsätzlichen Umgang mit den Zielen der Inklusion.

Inwiefern hat sich in dieser Hinsicht bereits gesamtgesellschaftlich etwas bewegt in den vergangenen Jahren?

Von einer erfolgreichen Umsetzung der Inklusionsziele sind wir tatsächlich noch sehr weit entfernt. Man müsste beispielsweise die von einer Stadt wie München geförderten Institutionen dazu verpflichten, konkrete Ansätze für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu formulieren.

„Inklusion“: Ein Wort, das zunächst einmal hoffnungsvoll, modern und in die Zukunft gewandt klingt. Ist dieser Begriff in einer Welt, in der Leistung, Vollkommenheit und Perfektion das Maß aller Dinge für viele Menschen zu sein scheinen, am Ende nur ein euphemistischer Leitgedanke?

Viele Aktivisten – mich eingeschlossen – verspüren eine große Müdigkeit in Bezug auf diesen Begriff, weil er oft sinnentleert verwendet wurde. Mir gefällt das Wort „Solidarität“ wesentlich besser, weil es für mich die wichtige Augenhöhe zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten mit beinhaltet.

Wie kann man aus einer Gesellschaft, die zwar beständig Moral predigt, aber oft in den entscheidenden Momenten nicht moralisch handelt, eine solidarische Gesellschaft machen?

Indem man bei sich selbst anfängt. Wo beginnt meine Solidarität, wo endet sie? Wo erwarte ich mir Hilfe, wo ist sie mir zu viel?

Sprechen wir deiner Meinung nach derzeit zu viel über Inklusion oder zu wenig?

Wir sprechen sehr viel darüber und gleichzeitig gibt es viele Themen, die extrem Tabu-behaftet sind, wie die Situation von Behinderten im Alter. Die große Aufgabe der Politik sehe ich darin, einen Raum zu schaffen, in der man uns alle – egal ob behindert, oder nicht-behindert – befähigt, über wichtige Dinge zu diskutieren.

Wie bist du selbst mit dem Thema Behinderung umgegangen, bevor du 2006 die Diagnose Multiple Sklerose erhalten hast?

Es gab keinerlei Berührungspunkte zu behinderten Menschen. Weder in der Schule, noch in der Ausbildung oder im Berufsleben. Bis auf eine Ausnahme: Während meines Zivildienstes habe ich mit dementen Menschen zusammengearbeitet. Die Leichtigkeit, die ich damals im Umgang mit behinderten Menschen hatte, vermisse ich heute.

„Wenn man genau hinsieht, gibt es niemanden ohne“, schreibst du in einem deiner Bücher. Was war dein größtes Handicap vor der Erkrankung an Multipler Sklerose?

Rückblickend betrachtet war mein Blick auf die Welt extrem verengt. Natürlich habe ich viele Bücher gelesen und war viel unterwegs. Aber nun habe ich plötzlich mit Menschen zu tun, auf die ich früher nie gestoßen wäre. In diesem Punkt hat die eigene Behinderung mein Leben sehr bereichert.

Deine Bücher sind keine Sachbücher, sondern du erzählst darin Anekdoten aus deinem Leben. Gerade durch diesen persönlichen Zugang wird das abstrakte Thema Behinderung sehr greifbar. Das Schöne an deinen Büchern ist aber auch, dass du als Schriftsteller die Fähigkeit besitzt, viele Dinge poetischer auszudrücken, als dies ein Laie könnte.

Eine entscheidende Sache hat sich für mich wesentlich verändert, seit ich mit meiner Krankheit lebe: Ich schreibe nicht mehr nur für mich selbst.

Schreibst du derzeit neben deinem politischen Engagement und deiner Arbeit im Kulturreferat im Moment regelmäßig neue Texte?

Eigentlich wollte ich während meiner Wahlkampf-Zeit regelmäßig Tagebuch-Einträge auf meiner Website veröffentlichen. Aber die Tage fliegen nur so an mir vorbei. Das Wort „Wahlkampf“ mochte ich zunächst übrigens gar nicht – es fühlte sich an, als würde man sich wie ein wildes Tier in die Arena begeben… Aber je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr merke ich, dass der Wahlkampf tatsächlich ein richtiger Kampf ist, den man vor allem mit sich selbst führt.

Es ist eine sehr fordernde, aber ungemein erfüllende Aufgabe, der du dich da gerade widmest.

Obwohl ich mich manchmal frage, ob ich mit meiner Botschaft überhaupt jemand erreiche.

Daran habe ich keinen Zweifel. Es gibt nicht viele Leute wie dich, die aus einer Betroffenenperspektive heraus argumentieren können und die Welt gleichzeitig durch ihren Background in so einer geschärften Art und Weise wahrnehmen. Darum finde ich es umso wichtiger, dass sich Schriftsteller wie du in der Politik engagieren.

Das freut mich sehr zu hören. Ich finde, wir Behinderten dürfen uns nicht damit zufriedengeben, Beiräte zu sein, sondern müssen endlich die Rolle der Räte einnehmen.

War das rebellische Gen in dir immer schon vorhanden?

 Ja, aber erst durch meine Behinderung kam ein Thema auf, für das ich mich unbedingt und mit voller Kraft engagieren wollte. In früheren Jahren hätten Eitelkeit und Machtstreben sicherlich eine größere Rolle in Bezug auf meine politische Tätigkeit gespielt.

Wie schwer ist es für einen derart aktiven Autor und Aktivisten wie dich, die Rebellen-Rolle immer wieder abzulegen und Hilfe anzunehmen?

In vielen Bereichen gelingt mir das mittlerweile sehr gut. In anderen Bereichen mute ich mir oft zu viel zu.

Kein Wunder, denn selbst gesunden Menschen fällt es in unserer Leistungsgesellschaft schwer, sich Schwächen einzugestehen. Ich würde mir von einer solidarischen Gesellschaft wünschen, dass sich Menschen gegenseitig so viel Aufmerksamkeit schenken, dass das Gegenüber von selbst aktiv wird, wenn es vonnöten ist.

Auch in diesem Punkt kann man nur bei sich selbst anfangen und als gutes Beispiel vorangehen. Wenn einem bewusst ist, wo man tatsächlich Hilfe braucht, kann man sie leichter einfordern. Obwohl „fordern“ schon fast wieder nach einem Wort klingt, das in der Veranstaltung mit den drei Oberbürgermeister-Kandidaten im UTOPIA Anfang Februar ein bisschen zu oft gefallen ist…

Im Zusammenhang mit Behinderung und Inklusion finde ich dieses Wort aber sehr angebracht. Wenn man Unterstützung braucht, darf und soll man auf sich aufmerksam machen.

Definitiv. Was ich mir aber wünsche, ist, dass man manchmal einen Schritt zurücktritt und sein eigenes Handeln hinterfragt. Die eigenen Nöte und Sorgen zu artikulieren ist richtig und wichtig. Aber es gibt auch viele andere Menschen, die unter noch wesentlich schwierigeren Umständen leben müssen als man selbst.

Welche Fähigkeit wünscht du dir als hoffentlich baldiger Stadtrat beibehalten zu können?

Sich in dieser schnelllebigen Welt die Zeit zu nehmen, zuzuhören, sich ausgiebig Gedanken zu einem Thema zu machen und diese ausformulieren zu können.

Das ganze Gespräch ist auf Lena Kettners lesenswertem Blog “Die Kulturflüsterin” zu finden. Hier der Link